Alwyne und Colin Hargreaves vierter Fall im Gruselkabinett, deren Höhepunkt Colins Tante Marilyn darstellt, die für einen hohen Unterhaltungsfaktor sorgt. Dazu ein Titel, der bei mir direkt die Neugier weckte. Ungewöhnlich reißerisch und an Groschenromane und TKKG erinnernd. Ziel erreicht.
Per McGraup greift zum dritten Mal Allen Upwards Charaktere auf. Inzwischen ist die gemeinsame Tochter sechs Jahre alt und Tante Marilyn sorgt erneut für einen interessanten Geisterfall. Dabei kommen sich letztendlich die Familie Hargreaves und die nervige Tante Marilyn näher, sodass erneut von einer Weiterentwicklung der Figuren gesprochen werden kann.
Nachdem mir die übrigen Gruselkabinetthörspiele der letzten Zeit so gut gefallen haben, gibt es hier einen Dämpfer. Die Familiendialoge – damit meine ich die zwischen Alwyne, Colin und ihrer Tochter Pamela – hätten für meinen Geschmack etwas kürzer gefasst werden können, da stellenweise nicht mein Humor getroffen wird (Mutter ruft ihre Tochter, die direkt neben ihr steht. – Das ist meiner Mutter mit mir zwar auch schon passiert und kann durchaus witzig sein, aber bei mir sprang an dieser Stelle kein Funke über. Vielleicht lag es an den Sprecherleistungen oder Regieanweisungen? Oder am Format? Im Hörspiel sieht man die Personen bekanntlich nicht und hat dadurch nur bedingt eine räumliche Vorstellung, die zu solchen Überraschungen passend ist. Ich bin noch unschlüssig.) oder mir die Gespräche des Ehepaars etwas zu theatralisch vorkommen. Dadurch wäre der Einstieg flotter und hätte für mich weniger Stellen, an denen ich geistig anecke. Denn sobald die Familie reisen, ist es ein gelungenes unterhaltsames und abenteuerliches Gruselhörspiel.
Wie gewohnt, legt Per McGraup viele Wert auf Hintergrundinformationen zum Spuk. Die werden – mit Hilfe von Visionen – umfassend geliefert. Dazu gesellen sich viele humorvolle Szenen, von denen mir die mit Tante Marilyn die liebsten sind. Ursula Sieg ist schlichtweg grandios ich ihrer Rolle! Meine Lieblingsszene: „Was wollen Sie denn von mir?“ – „Mit dir sterben!“ – „WAS!?“
Ferner greift der Autor typische veraltete geschlechtsspezifische Vorurteile auf, die dem Hörer zum Nachdenken anregen mögen. Auffällig viele in der Realität schon vorgekommene Versehen aus dem Familienleben haben es in das Hörspiel geschafft und sind für mich weniger lustig, als dass sie dem ganzen einen Dämpfer geben. Zwei Teile wirken auf mich einfach deplatziert: Das Kind wird gerufen, da es übersehen wurde oder gar ganz vergessen. Diese Teile hätte ich einfach weggelassen oder an einer anderen Stelle implementiert: Nachdem es offensichtlich spukt. Eine hysterische Mutter nach ihrer Tochter rufen zu lassen hätte besser gepasst – für mich deutlich witziger, als bei einer hektischen Abreise. Zugleich wäre natürlich auch die Gruselstimmung zunichte gemacht. Humor im Gruselhörspiel ist eine schwierige Gradwanderung. Das Vergessen des eigenen Kindes zieht sich somit leider durch das ganze restliche Gruselhörspiel. Zunächst wird das Kind tatsächlich im Auto vergessen, später vermisst und die Suche des in Gefahr schwebenden Kindes kaum brenzlig dargestellt, da die Eltern ständig mit anderen Dingen (Spukerscheinungen oder Visionen) beschäftigt sind. Ist das eine versteckte Kritik an erziehende Eltern? Seid euch eurer Kinder und Verantwortung gewahr! Das Hörspiel schafft es dadurch zu vielerlei Gedanken anzuregen, was ich begrüße. Zum öfter Hören würde ich mir eine umgeschnittene Version des Hörspiels wünschen. Aber das ist bei vielen Medien so. Nachdem es ein paar Mal konsumiert wurde, würden ich eine nach persönlichen Vorlieben neue (oft kürzere) Fassung bevorzugen.
Die Sprecher leisten sehr gute Arbeit: Stephanie Kellner, Benedikt Weber und Clara Fischer sind erneut als Familie Hargreaves zu hören. Dazu gesellen sich Ursula Sieg, Jean Paul Baeck, Jacques Breuer, Horst Neumann, Michael-Che Koch, Bodo Primus, Dagmar von Kurmin, Sigrid Burkholder, Marc Gruppe, Daniela Bette, Matthias Lühn, Bert Stevens, Thomas Balou Martin und Lutz Reichert. 17 Sprecher, von denen mit 14 vollends überzeugen. Bei der Familie Hargreves, insbesondere bei der Tochter, gab es Stellen, die mich nicht vollends begeisterten.
Die musikalische Untermalung und Geräuschkulisse sind ganz hervorragend. Die abenteuerliche Reise und der Aufenthalt im Schloss sind der größte akustische Genuss. Dabei dürften die verschiedenen Hörspielausflüge in die Vergangenheit nicht vergessen werden. Die kurzen Geschichten sind nicht nur extrem gut erzählt, sondern perfekt vertont. Großartig! Wer wollte, könnte sich die Tracknummern der einzelnen Visionen notieren und gezielt Kurzgeschichten hören. Ein toller Bonus!
Fazit
Das Hörspiel gleicht dieses Mal einer Geisterattraktion, bei der die Protagonisten mehreren Erscheinungen rund um den Schörgen-Toni begegnen und deren Geschichten erfahren. Ein gutes, typisches Per McGraup-Hörspiel mit vielen Erklärungen und zwischenmenschlichen Dialogen, die Fans der Hörspielfolgen 89 und 109 gefallen dürfte. „Das ist ja ganz reizend und auch verständlich.“ (Tante Marilyn)