„Bisclavret“ von Marie de France in einer Bearbeitung von
Marc Gruppe ist ein grandioses Hörspiel um ein Jahr zu beenden. Zuallererst ist
da das düstere Covermotiv, das den Werwolf zeigt. Dann spielt die Geschichte im
Mittelalter (genauer: im zwölften Jahrhundert), sodass das Hörspiel etwas rauer
und altertümlicher daherkommt und zumindest mich zum Nachsinnen einlädt, diese
lang vergangene Zeit geistig wiederauferstehen zu lassen. Das Gruselhörspiel
kommt recht märchenhaft daher (vielleicht liegt das an der Entstehungszeit oder
Marc Gruppes Können?) und erinnert ein wenig an „Die Schöne und das Biest“, da
in beiden Fällen ein gesellschaftlich angesehener Mann in eine Bestie
verwandelt wird und wohl jede/r Lauschende sich fragt, ob das Biest befreit
werden kann und zu seiner menschlichen Form wiederfindet. Anders als das „Titania Special 15“ schreckt
dieses Hörspiel weder vor erotischen Szenen noch vor Gewaltdarstellungen
zurück.
Das bretonische Wort „Bisclavret“ ist laut Wikipedia gleichbedeutend
mit „Werwolf“, wobei die Autorin den Protagonisten Bisclavret deutlich
vom Werwolf abgegrenzt sehe. Dies dürfte auch den Zuhörern bei dieser Adaption
aufgefallen sein und genau das verleiht der Geschichte eine schöne Eigenständigkeit:
Sie grenzt sich deutlich von anderen Werwolfgeschichten ab.
Marc Gruppe hat das kurze Original um weitere Figuren (wie
zum Beispiel die Kammerfrau Agnes) und Wendungen erweitert. Besonders die Erotikszenen
sind ihm zuzuschreiben. Die wichtigste Änderung ist für mich das Intervall, in
dem der Ritter Bisclavret verschwindet: monatlich statt wöchentlich. Die
dazugehörige Erklärung passt besser zur heute allgemein bekannten Werwolflegende.
Das wöchentliche Fernbleiben für drei Tage erklärt jedoch im Original besonders
charmant (aufgrund der Wortwahl) das Verlangen der Frau des Ritters, den Grund
zu erfahren. Dies finde ich im Hörspiel weniger charmant (transportiert), was
aber wesentlich besser zur anderen Charakteristik der Ehefrau passt. Die
Vornamen (Eric und Catherine) stammen übrigens ebenfalls von Marc Gruppe wie auch
alle weiteren Namen, von „Bisclavret“ abgesehen. Marc Gruppe hat die Geschichte
ordentlich bereichert, um viele Wendungen ergänzt und besonders des Ritters
Frau vielschichtiger gestaltet. Die von Marc Gruppe erweiterten romantischen Motive
sind überaus vielfältig, sodass auch der Ritter Bisclavret eine äußerst
interessante Figur abgibt und mehr ist als ein Werwolf. Gleiches gilt für die
Dialoge des Königs. Insgesamt sind die ausgestalteten Beziehungen der Figuren verflochtener
und interessanter als im kurzen Original, dem aufgrund seiner Erzählform kein
Platz für ausführlichere Charakterdarstellungen bleibt. Mir gefällt überdies,
dass im Hörspiel der Mann unwissend Böses tut statt als Mitwisser.
Den „Klappentext“ des Hörspiels finde ich nicht sonderlich
gelungen. Besonders der letzte Satz stört mich. Mir wird schlichtweg zu viel
verraten.
Wie bereits bei „Die Schöne und das Biest, Titania Special
15“ beweist Jean Paul Baeck einmal mehr, wie gekonnt er es schafft tierische Laute
in seiner Sprache unterzubringen.
Antje von der Ahe begeistert mich mit ihrer Wandlung vom Ersteindruck der
liebenden und verliebten Ehefrau zur durchtriebenen Dame, unterstützt von ihrer
Kammerfrau, die wunderbar von Sabina Trooger zum Leben erweckt wird.
Christian Stark ist als verständnisvoller, nachsichtiger
König von Frankreich zu hören. Dessen Mutter wird von Ursula Sieg gesprochen
und Sascha von Zambelly spielt seinen Freund Julian.
Marc Gruppe überzeugt als heiserer Folterknecht, Rolf Berg als verliebter
Ritter, Bern Kreibich als geschätzter Ratgeber des Königs und Peter Weis als Erzähler.
Wie gewohnt unterstützt die Musik- und Geräuschauswahl gekonnt
die jeweilige Stimmung und Szene. Die Werwolf-Verwandlungen finde ich besonders
beeindruckend.
Fazit
Eine großartige Geschichte, die stets interessant und lebendig bleibt. Marc
Gruppe hat das Original um vielschichtige Figuren, Motive, Entwicklungen und
Wendungen bereichert. Grandios!